Selbstbegrünende Moosfassade

Es grünt so grün

Schon heute stehen Städte vor Herausforderungen, welche künftig noch größer werden: Überhitzung, versiegelte Flächen und ein geringer Erholungswert sind nur drei davon. Das Startup Artificial Ecosystems hat ein selbstbegrünendes Bauelement entwickelt, um die Klimaprobleme in den Städten lokal zu entschärfen. Dr. Tobias Graf, Gründer von Artificial Ecosystems, erklärt, wie es zur Idee kam und wie das System funktioniert.

Herr Dr. Graf, im Gegensatz zu bisherigen Begrünungssystemen wird Ihres mit Moos bepflanzt. Wie kam es zu dieser Idee?

Moose sind ganz außergewöhnliche Organismen, die bereits vor 400 Mio. Jahren als erste Landpflanzen entstanden sind. Schaut man sich einmal bewusst in der Stadt um, so wachsen sie überall: an jeder Mauer, am Bordstein oder auf Bäumen. Überall, wo die ökologischen Bedingungen passen. Dabei sind sie sehr genügsam und anspruchslos. Das macht sie zu einer hervorragenden Pflanzengruppe, da sie weitaus weniger Pflege benötigen als bisherige Fassadenbegrünungssysteme. Darüber hinaus binden sie große Mengen an Feinstaub. Das ist darin begründet, dass sie ohne Wurzeln all ihre Nährstoffe aus der Luft aufnehmen müssen. Man könnte vereinfacht sagen: Moose ernähren sich von dem Dreck, den wir in die Luft pusten.

Das Moos muss vorab nicht auf die Fassadenelemente gesetzt werden. Wie funktioniert das System?

Im Grunde ist unser BryoSystem eine monolithische Fassadenplatte, die chemisch und physikalisch optimal dafür vorbereitet ist, dass Moose wie eine Art Kruste darauf wachsen können. Unterstützt wird die Platte durch einen ausgeklügelten Bewässerungsalgorithmus und eine versteckte Bewässerung. Wir stellen die benötigten ökologischen Bedingungen also künstlich her. Wasser wird über Kapillarität gleichmäßig über die Platte verteilt, welche sich so über die Jahre ganz allein begrünt. Wir beschleunigen den Prozess durch eine spezielle Starterkultur. Darin enthalten sind bereits die richtigen Moosarten für den jeweiligen Standort.

Und wie ist das Bauelement aufgebaut?

Wie eine hinterlüftete Vorhangfassade. Die Vorderseite der Platte bildet gleichzeitig das Substrat, auf dem die Moose wachsen. Die Platte wird von einem konventionellen Agraffensystem an der Wand gehalten, in der auch die Bewässerung verläuft. Unterstützt wird die Fassade von einer Bewässerung inklusive Steuerung und einer Zisterne, idealweise in einem Technikraum untergebracht.

Eine intensive Pflege ist bei BryoSYSTEM nicht nötig. Die Moose können wartungs-frei wachsen. Welche weite-ren Vorteile bietet es im Vergleich zu konventionellen Begrünungssystemen?

Bisherige Pflanzsysteme sind wunderschön anzusehen, aber man übersieht oft, wie schwierig es ist, Pflanzen in der Vertikalen unter so lebensfeindlichen Bedingungen wie Gebäudefassaden am Leben zu halten. Hier muss einiges an Handarbeit geleistet werden, damit die Fassaden auch ansehnlich bleiben. Aktuelle Angaben bisheriger Systeme gehen von ca. 10 % der Anschaffungskosten jährlich aus, um die Fassade „gepflegt“ zu halten. Moose benötigen keinen Rückschnitt, es wachsen keine Unkräuter in ihrer Nähe und sie binden ca. das 30 bis 40-Fache an Feinstaub, wie höhere Pflanzen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Moose keiner Saisonalität ausgesetzt sind und sie das ganze Jahr über grün sind. Gerade im Winter, wenn alle Pflanzen ihre Blätter und somit ihr grün verlieren, sind Moose besonders aktiv und verschönern den sonst so tristen Betonalltag.

Gibt es neben dem Gebäude noch andere Einsatzmöglichkeiten für Ihre Vertikalbe-grünung?

Grundsätzlich ist das BryoSYSTEM ein Verkleidungselement, das man auch zur Verkleidung anderer Bauten nutzen kann. Seien es Lärmschutzwände oder Bushaltestellen. Man muss allerdings eine Wasserversorgung mit Regenwasser und idealerweise auch eine Stromversorgung berücksichtigen. Eine weitere spannende Einsatzmöglichkeit sehen wir zukünftig auch an dunkleren Orten, wie Tunnel oder U-Bahnschächte. Hier müssen wir die Moose nur mit künstlichem Licht in ihrem Wachstum unterstützen. Unsere eigens entwickelte Steuerung ermöglicht auch das.

Lassen wir noch ein paar Zahlen sprechen: Wie viel kostet BryoSYSTEM pro Stück/m2?

Die Preise sind noch nicht fix. Momentan bewegen wir uns etwas über dem Preis gewöhnlicher Fassadenbegrünungen, welcher im Durchschnitt bei 1.000 €/m² liegt. Sobald wir eine marktfähige Produktion aufgestellt haben, wird es aber sicher interessante Preismodelle geben. Hier ist auch immer entscheidend, um was für eine Projektgröße es sich handelt und wie schwierig die Moosauswahl ist.

Das Wachstum der Moose wird durch einen ausgeklügelten Bewässerungsalgorithmus unterstützt. Das Wasser wird über Kapillarität gleichmäßig über die Platte verteilt, welche sich so über die Jahre von ganz alleine begrünt.

Die Synergien der Gebäudebegrünung und energieeffizientem Bauen sind nicht von der Hand zu weisen, da durch diese Verbindung ein energetisch günstiges Mikroklima geschaffen wird. Wird dieses Zusammenspiel in der Planungspraxis ausreichend angewendet oder müsste hier noch Aufklärungsarbeit geleistet werden?

Sicherlich sind wir in diesem Bereich erst am Anfang. Ich lerne immer wieder Architekten und Planer kennen, die in diesem Zusammenhang noch keinerlei Erfahrungen haben und Informationen zu diesem Gebiet sind rar. Es lässt sich aber auch eine stark wachsende Nachfrage spüren, sodass ich mir sicher bin, dass sich auch die Lücken auf diesem Gebiet bald füllen werden. Wir erkennen das z. B. auch an unseren Partnerforschungseinrichtungen. Viele junge Leute interessieren sich für das Gebiet und wir werden immer wieder nach möglichen Praktika oder Abschlussarbeiten gefragt.

Sogar eine Effizienzsteigerung der Gebäude ist durch Begrünung möglich. Wie sieht dieser Zusammenhang genau aus?

Diese Effizienzsteigerung zielt vor allem auf die Dämmeigenschaften von Begrünungen ab. Durch die Fassadenbegrünung wird die Wärme im Haus gehalten und eine zusätzlich Kühlwirkung im Sommer erbracht, wodurch man Kosten und Energie für Klimaanlagen einsparen kann. Allerdings muss ich über unser System sagen, dass zumindest die Dämmung nur in Kombination mit einem WDVS erreicht werden kann. Anders sieht es bei der Kühlwirkung aus. Hier sind wir zuversichtlich, gute Zahlen generieren zu können. Allerdings sind diese Angaben noch nicht erbracht und müssen in den nächsten Jahren evaluiert werden. Dasselbe gilt für das Bindungsvermögen für Feinstaub, Stickoxide oder aber auch Lärmeindämmung.

 


Dr. Tobias Graf, Gründer von Artificial Ecosystems

Ein wirklich tolles Produkt, Herr Dr. Graf. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der weiteren Etablierung!

www.artificial-ecosystems.com

Bildquelle Grafik: Annette Wieland: www.buero13-design.de

Bildquelle Portrait: Artificial Ecosystems

Interview aus EnEV Baupraxis Ausgabe Mai/Juni 2020